In der Spiritualität und Weltsicht matriarchaler Gesellschaften finden wir das Wesen der Geomantie
Im Begriff Geomantie steckt das Wort Geo - die Erde. Geo wiederum leitet sich von Gaea (Gäa) oder Gaia ab, und führt uns in das paläolithische bzw. neolithische Europa zurück. Zurückführen in dem Sinne, dass die Ursprünge der heutigen Geomantie in einer Zeit zu finden sind, in der Europa – und auch die restliche Welt – noch keine Götter kannten. Im alt- und jungsteinzeitlichen Europa war die Gesellschaft matriarchal organisiert, und die Menschen verehrten eine große Urmutter, Gaia, die Erde selbst, die alles Leben auf Erden hervorbrachte.
Wenn wir das Wesen der Geomantie verstehen und uns tiefer mit ihr auseinandersetzen möchten, müssen wir uns zwangsläufig mit der Weltsicht und der Spiritualität der alt- und jungsteinzeitlichen Menschen beschäftigen.
Die Menschen beobachteten, dass es die Frau ist, die mit ihrer Schöpferkraft das menschliche Leben hervorbringt, es nährt und beschützt. Der Wortteil „Arche“ im Begriff Matriarchat steht nicht für „Herrschaft“, sondern für „Anfang“. Am Anfang stand die Mutter. So wie die Frau das menschliche Leben hervorbringt, erkannten sie, dass die Erde selbst mit ihrer Urkraft alles Leben auf der Erde hervorbringt, die Pflanzen, die Tiere und die Menschen. So war es nur folgerichtig, die Erde ebenfalls als weibliches Wesen, als große Urmutter und Ahnfrau zu betrachten. Von der Verehrung einer solchen Urmutter zeugen die vielen Göttinnen-Figurinen aus der Alt- und Jungsteinzeit, die quer über Europa gefunden wurden. In matriarchalen Gesellschaften stand die Frau als Stellvertreterin der Göttin im Mittelpunkt.
Göttinnen-Figurinen aus Frankreich, Tschechien und Österreich
Matriarchale Menschen betrachteten sich als Teil der Natur und nicht als Gegensatz, wie es uns die „moderne“ Weltsicht – die vom Anthropozentrismus geprägt ist – zu erklären versucht. Und weil sich die Menschen als Teil der Natur sahen, betrachteten sie sich auch eingebunden in die großen und kleinen natürlichen kosmischen und irdischen Zyklen. Sie beobachteten das ewige Spiel vom Kommen und Gehen. Sie waren überzeugt, dass jede Pflanze im Frühling wiedergeboren wird. Sie sahen sie wachsen und reifen, welken und vergehen. Sie kehrte im Herbst zurück in den Schoß der Urmutter. Dort wirkte die große Göttin mit den magischen Kräften der Transformation und schickte die Pflanzen im nächsten Frühling wieder auf die Erde zurück. Die Erde war die große Ernährerin und die wiedergebärende Mutter.
Nicht nur das Vegetationsjahr war zyklisch. Auch der Tanz der Himmelskörper war zyklisch. Täglich kamen sie, gingen und kamen wieder. Die große Schöpferin führt sie im Osten aus der Erde heraus ins Leben, begleitet sie über den Himmelsbogen, führt sie im Westen in den Tod und gebiert sie am nächsten Morgen im Osten wieder.
Diesen natürlichen Zyklen unterlagen auch die Menschen selbst. Sie wurden geboren, waren, vergingen und wurden durch eine Frau wiedergeboren. Dieser Wiedergeburtsglaube war sehr konkret. Jede verstorbene Ahnin, jeder verstorbene Ahn einer Sippe wurde nach nicht sehr langer Zeit durch eine Sippenfrau in derselben Sippe wiedergeboren. Die Frauen waren neben den Ernährerinnen (vor allem in den neolithischen Ackerbaugesellschaften) auch die Wiedergebärerinnen der Sippe und sicherten deren Fortbestand.
Für die matriarchalen Menschen unterliegt alles, auch das menschliche Leben, dem ewigen Zyklus von Leben, Tod und Wiedergeburt. Alles ist Teil der Natur, niemand ist davon abgekoppelt. Der Tod bedingt das Leben und umgekehrt, genauso wie das Dunkle das Helle. Die natürlichen Zyklen begleiten alles durch die sich gegenseitig bedingenden Pole. Zu seiner Zeit geht aus dem Leben der Tod hervor und aus dem Tod wieder das Leben. Alles hat zu seiner Zeit seine Notwendigkeit.
Die beiden Pole lösen einander gesetzmäßig ab. Auch das Weibliche und das Männliche sind Teil der kosmischen Polarität. Die Frau ist die Repräsentantin der Göttin, ihr wird das Göttliche zugeschrieben als jene, die das Leben hervorbringt, es erhält und nährt und wieder in den Tod begleitet (in dem Sinne, als sie für die Bestattungsriten und die Totenspeisungen – also die rituelle Verehrung der Ahninnen und Ahnen verantwortlich ist) und dem Mann das Menschliche, er repräsentiert den Menschen in seiner Sterblichkeit. Neben den kosmischen Zyklen bestimmten so auch die sich ergänzenden und einander bedingenden kosmischen Polaritäten das matriarchale Weltbild.
In dem zyklischen und polaren Weltbild der matriarchalen Menschen mit einer kosmischen Schöpfergöttin und der Urmutter Erde, die alles Leben hervorbringt, steht alles gleichberechtigt nebeneinander. Nichts ist - im dualistischen Sinn - gut oder böse, spaltet oder grenzt einander aus. Alles ist mit Allem verbunden und in Allem und Jedem steckt das Göttliche, alles lebt, ist durchgeistigt und beseelt – nicht nur der Mensch. Daraus folgt, dass die gesamte Natur, vom kleinsten Staubkorn über Steine, Pflanzen, Tiere bis hin zum Menschen von den matriarchalen Menschen nicht als ausbeutbare Ressourcen, als kostenloser Input, der zu Waren verdinglicht werden kann, betrachtet wurde, sondern als lebendig. Weil das Leben das Wertvollste auf der Welt war und die gesamte Natur lebendig war, konnte sie nicht beliebig ausgebeutet und zerstört werden. Die gesamte Natur war heilig. Insofern konnte es auch keine Trennung von sakral und profan geben. Weil alles heilig war, war jede Handlung zugleich sakral und profan. Jede Handlung, jede Geste wurde unter diese Prämisse gesetzt.
Zusammengefasst ist die Weltsicht und die Spiritualität matriarchaler Gesellschaften geprägt von einem konkreten Wiedergeburtsglauben, der Verehrung der Ahninnen und Ahnen als Teil der Gemeinschaft, einem zyklischen und polaren (im Gegensatz zum dualistischen) Weltbild, einer Verehrung der (mütterlichen) Erde und einer immanenten Heiligkeit der gesamten Welt.
In der Geomantie versuchen wir unsere Lebensräume in Harmonie mit der lebendigen, durchgeistigten und beseelten Natur zu gestalten. Wir sind uns dabei der großen und kleinen kosmischen und irdischen Zyklen, die das Leben tragen bewusst und binden sie in unser Handeln ein und betrachten die Polaritäten als sich ergänzend und sich gegenseitig bedingend, dass es das eine ohne das andere nicht geben kann. Genauso wie die matriarchalen Menschen der Alt- und Jungsteinzeit.
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Hallo Stephan,
ich bin an diesem Satz hängengeblieben:
DerWortteil„Arche“imBegriffMatriarchatstehtnichtfür„Herrschaft“,sondernfür„Anfang“.AmAnfangstanddieMutter.
und habe mir gedacht, dass der Wortstamm "Arche" auf Patriarchat auch zutrifft.
lg
Jürgen